„Neu“ oder nur „aufgemöbelt“?
Der Versuch einer Einordnung von Manfred Hafner.
Surprise, surprise! Überraschung, Überraschung! Der „Microsoft Flight Simulator“ bekommt – wie berichtet – bereits im nächsten Jahr einen Nachfolger. Ein absolut „Neuer“ auf dem Markt?
Ehrlich gesagt. So richtig Neues, revolutionäres konnte ich persönlich im hervorragend gestalteten Trailer bei genauem Hinsehen nicht wirklich entdecken. Außer neuem Fluggerät wie etwa Airbus A400M oder A-10 Thunderbolt, komplexere Avatare und – na gut – Jahreszeiten. Aber vieles von dem, das hier gezeigt wird, gibt es in der einen oder anderen Form als Payware-Add-on bereits im „alten“ MSFS. Egal ob Such- und Rettungseinsätze, Brandbekämpfung aus der Luft, Helikopter-Transporte zu Bohrinseln, Heißluftballon fahren etc. Nun halt „Out of the box“.
Und sonst? Microsoft verspricht auf seiner offiziellen Seite flightsimulator.com eine „deutlich weiterentwickelte Asobo Studio-Engine„. Was die besser kann und welche Vorteile sie gegenüber der alten hat, etwa bessere Ausnutzung von DX12 (?) etc., werden Asobo und Microsoft erst detailliert darstellen müssen. Ein kurzer Trailer ist zu wenig, um eine schlüssige Antwort zu liefern.
Was auffällt, ist der Fokus im Microsoft Flight Simulator 2024 auf Interaktion, die über das reine Fliegen hinausgeht. Das ist durchaus als Vorteil zu sehen, weil dadurch die Zielgruppen erweitert werden. Die Behauptung, der MSFS sei „halt ein Spiel“ und „keine Simulation“, erhält damit allerdings neuerlich Auftrieb. Doch stimmt das wirklich? Kann der MSFS damit tatsächlich nur in die Kategorie „Game“ bzw. „Arcade“ eingeordnet werden und verliert er damit den Anspruch, auch ein „Simulator“ zu sein?
Das kommt auf den jeweiligen Benutzer an. Man kann einen Sightseeing Flug durchführen und die schöne Landschaft genießen, man kann aber auch z. B. im Fenix A320ceo einen ziemlich realistischen „Linienflug“ von A nach B simulieren. Mit allem, was dazugehört. Das ginge „Arcade“ so nicht.
Als ehemaliger Besitzer einer Privatpilotenlizenz und mehreren hundert Stunden in Einmots empfinde ich das MSFS-Flugerlebnis im Vergleich mit jenen Flugzeugen, die ich auch in der Realität steuern durfte, als durchaus gelungen. Mit einigen Einschränkungen zwar, aber sonst einigermaßen real – vor allem in VR. Und das nicht nur, was die Optik betrifft, sondern auch – und das muss an dieser Stelle auch einmal erwähnt werden – das Flugverhalten an sich. Das war nicht immer so. Vor allem einige Sim-Updates brachten aber Verbesserungen und Erweiterungen an der Aerodynamik, Stichwort CFD (numerische Strömungssimulation), mit deren Hilfe eine Annäherung an die Realität halbwegs möglich wurde.
Wenn Microsoft hier mit dem Microsoft Flight Simulator 2024 nicht einen „kompletten Salto rückwärts“ vollzieht, wird das auch in Zukunft nicht anders sein. Vielmehr ist aber davon auszugehen, dass der „Neue“ komplett auf seinem Vorgänger aufbaut. Mit all dem, was bereits erreicht wurde und was der MSFS schon heute bietet. Und das ist alles andere als „Arcade“. Dafür spricht auch die Versicherung von Microsoft, dass praktisch alle Add-Ons, die heute im Microsoft Flight Simulator (2020) funktionieren, bis auf wenige Ausnahmen auch im Microsoft Flight Simulator 2024 einsetzbar sein werden. Wer ein Add-on im Ingame Marktplatz für den MSFS2020 gekauft hat, wird es ohne Mehrkosten auch im neuen Simulator verwenden können.
Warum jetzt ein „Neuer“?
Microsoft hat in den vergangenen Jahren sehr viel Geld und Manpower in die Weiterentwicklung des Microsoft Flight Simulators gesteckt. Und da geht es nicht nur rein um die Sim Updates, die den MSFS „unter der Haube“ verbessert haben, sondern auch um die 13 kostenlosen World Updates mit dutzenden handgefertigten Gratis-Airports, die weit über tausend POIs (Sehenswürdigkeiten) und vielem mehr. Allein an einem einzigen World Update arbeiten rund 40 Entwickler mehrere Monate! Die müssen auch irgendwie bezahlt werden. Nicht zu vergessen die 40th Anniversary Edition, mit der Microsoft im Vorjahr den 40. Geburtstag seines Flight Simulators gefeiert hat, inklusive kostenlosem Airliner und zahlreichen weiteren Gratisflugzeugen etc.. Dazu der Betrieb der Server, über die die Daten für Landschaft, Wetter etc. heruntergeladen werden. All das kostet Geld, viel Geld. Durch den reinen Verkauf des Microsoft Flight Simulators ließe sich all das auf Dauer vermutlich nicht finanzieren.
Wie konnte sich Microsoft diesen offensichtlichen „Luxus“ dennoch leisten?
Das ist wohl auch dem ausgeklügelten „Ökosystem“ rund um den MSFS zu verdanken, das reichlich Geld in die Kassen spült und das es so bislang bei keinem anderen Flugsimulator gab und gibt. Da ist einerseits der Ingame-Marktplatz. Bei jedem Verkauf eines Add-Ons über diese Plattform kassiert Microsoft eine kolportierte Provision bis zu 30 Prozent. Auch ist der MSFS Teil vom Xbox Game Pass, einem monatlichen Abomodell für den PC und/oder die Konsolen, bzw. auch Teil des Xbox Cloud Gamings, wo der MSFS sogar auf Smartphones oder Tablets gestreamt werden kann.
Wahrscheinlich ist es kaum jemandem aufgefallen. Aber seit dem Vorjahr sind wir alle ja längst nicht mehr im „alten“ MSFS unterwegs, wie ihn viele von uns 2020 gekauft hatten, sondern im Microsoft Flight Simulator 40th Anniversary“, den alle bestehenden Kunden als Gratis-Upgrade erhalten haben. So gesehen auch ein „neuer“ Simulator, denn mit dem Zusatz „40th Anniversary“ wird er in den drei verschiedenen Editionen Standard/Deluxe/Premium Deluxe seit dem Vorjahr sowohl von MS selber als auch auf Steam verkauft.
Jetzt ist es halt an der Zeit, eine kostenpflichtige Neuauflage mit dem Zusatz „2024“ auf den Markt zu bringen. Aufgrund der Themensetzung „Verwirkliche Deinen Traum von einer Luftfahrtkarriere“ wird man damit wohl auch weitere Zielgruppen ansprechen. Und ja: Der Neue wird zusätzlich Geld in die Kassen spülen, das zumindest zum Teil wieder in die ständige Weiterentwicklung fließen wird. Zum Nutzen aller. An sich also nichts Schlechtes. Jedem User bleibt ja trotzdem die freie Wahl, ob er umsteigt, oder beim bisherigen Produkt bleibt. Microsoft verspricht jedenfalls, dass die Entwicklung wie gewohnt weitergehen wird. Mit Sim-Updates, Aircraft- und Avionik-Updates, City- und World-Updates etc. Außerdem wird versichert, dass der MSFS 40th Anniversary auch nach der Veröffentlichung des „Neuen“ 2024 weiter unterstützt wird. Ob die von Jörg Neumann, Head of Microsoft Flight Simulator, bei der Veröffentlichung des MSFS 2020 ausgegebene Zeithorizont von mindestens zehn Jahren hält, wird man sehen.
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